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BSG: Gesellschafter-Geschäftsführerin mit partieller Sperrminorität ist sozialversicherungspflichtig

Gesellschafter-Geschäftsführer sind aufgrund Ihrer Position in unterschiedlichen Rechtsgebieten mit der Fragestellung konfrontiert, ob sie als Unternehmer anzusehen sind oder als Arbeitnehmer bzw. arbeitnehmerähnliche Person. Die Unterscheidung hat weitreichende Folgen und betrifft auch die Frage, ob Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten sind oder nicht.  

 

In der Entscheidung des Bundessozialgerichts hatte eine Gesellschafter-Geschäftsführerin eine Minderbeteiligung, was grundsätzlich zur Sozialversicherungspflicht führt. Eine Ausnahme dazu ist die sog. Sperrminorität, also die Rechtsmacht des Mindergesellschafters, nicht genehme Entscheidungen der Gesellschafterversammlung jederzeit zu verhindern.

 

Sie stritt im Rahmen des Feststellungs- und folgenden Sozialgerichtsverfahrens darum, ob ihr durch die vertraglichen Vereinbarungen tatsächlich eine solche Sperrminorität eingeräumt war und dem folgend eine Sozialversicherungspflicht ausschied.

 

Tenor (Urteil ohne Leitsatz):

Eine Gesellschafterin-Geschäftsführerin ist nicht per se kraft ihrer Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss, um nicht als abhängig Beschäftigte angesehen zu werden, über ihre Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können.

Für die erforderliche Rechtsmacht reicht es nicht aus, wenn eine Sperrminorität nur für bestimmte, im Einzelnen im Gesellschaftsvertrag aufgeführte Angelegenheiten besteht, auch wenn diese (fast) die gesamte Unternehmenstätigkeit ausmachen sollten. Dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit beitragsrechtlicher Tatbestände ist nur Rechnung getragen, wenn klar erkennbar ist, dass der Gesellschafterin-Geschäftsführerin bei allen Beschlüssen der Gesellschafterversammlung eine Sperrminorität eingeräumt ist.

BSG, Urteil vom 01.02.2022 – B 12 R 19/19 R

 

Worum geht es?

Die Klägerin war von Ende 2015 bis Ende 2016 Gesellschafter-Geschäftsführerin einer Gesellschaft, die sich zum Zeitpunkt der Klage in Liquidation befand. Sie trug 25% der Geschäftsanteile. Gemäß Gesellschaftervertrag waren die Beschlüsse mit einfacher Mehrheit zu fassen. Durch einen Gesellschafterbeschluss wurde für bestimmte Angelegenheiten eine Mehrheit von 76 % festgelegt. Dazu gehörten Satzungsänderungen, die Abberufung und Bestellung von Geschäftsführern, Liquidatoren und Prokuristen einschließlich der Entscheidung über die Vertretungsberechtigung sowie Abschluss, Beendigung und Änderung der Anstellungsverträge mit diesen, Zustimmungen und Weisungen zu Geschäftsführungsmaßnahmen, Erlass, Änderung und Aufhebung einer Geschäftsordnung für die Geschäftsführung sowie der Ausschluss von Gesellschaftern nebst deren Umsetzung. Der Geschäftsführervertrag regelt in § 2 eine Reihe von Geschäften, die von der Klägerin „nur nach vorheriger Zustimmung der Gesellschafterversammlung“ ausgeführt werden durften. Auf den Statusfeststellungsantrag stellte die beklagte Rentenversicherung dem Grunde nach aufgrund der abhängigen Beschäftigung die Sozialversicherungspflicht der Klägerin fest. Die erste Instanz (Sozialgericht) hob den Feststellungsbescheid auf. Das Landesarbeitsgericht bestätigte dieses Urteil im Berufungsverfahren.

 

Entscheidung

Das BSG als Revisionsgericht hob die Entscheidungen der Vorgerichte, die eine Versicherungspflicht verneinten, auf und bestätigte die in dem Feststellungsverfahren festgestellte Versicherungspflicht.

Eine Minderheitsgeschäftsführerin ist grundsätzlich abhängig beschäftigt. Sie ist ausnahmsweise nur dann als Selbständige anzusehen, wenn ihr nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende („echte“ oder „qualifizierte), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt ist. Selbständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer müssen in der Lage sein, einen maßgeblichen Einfluss auf alle Gesellschafterbeschlüsse auszuüben und dadurch die Ausrichtung der Geschäftstätigkeit des Unternehmens umfassend mitbestimmen zu können. Ohne diese Mitbestimmungsmöglichkeit sind Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer nicht im „eigenen“ Unternehmen tätig, sondern in weisungsgebundener funktionsgerecht dienender Weise in die Gesellschaft als ihre Arbeitgeberin eingegliedert. Für die erforderliche Rechtsmacht reicht es daher nicht aus, wenn eine Sperrminorität nur für bestimmte, im Einzelnen im Gesellschaftsvertrag aufgeführt Angelegenheiten besteht, auch wenn diese (fast) die gesamte Unternehmenstätigkeit ausmachen sollte. Nur wenn klar erkennbar ist, dass der Gesellschafter-Geschäftsführerin bei allen Beschlüssen der Gesellschafterversammlung eine Sperrminorität eingeräumt ist, könne dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände Rechnung getragen werden. Hier erlaubte der Gesellschaftervertrag nur in bestimmten Fällen eine maßgebliche Einflussnahme auf die Gesellschafterbeschlüsse. In der Gesellschafterversammlung konnten Beschlüsse weiterhin grundsätzlich mit einfacher Mehrheit ohne Vetorecht der Klägerin gefasst werden. Selbständigkeit erfordert aber eine sich schon formal auf die gesamte Unternehmenstätigkeit erstreckende Sperrminorität.

 

Bewertung

Die Urteilsbegründung verdeutlicht, dass schuldrechtliche Abreden zwischen den Parteien für die Beurteilung der Weisungsfreiheit unbeachtlich sind. Entscheidend ist nach ständiger Rechtsprechung die Stellung aus dem Gesellschaftervertrag. Hier war die spezielle Frage geklärt worden, wann eine Mindergesellschafterin, die 25 % der Geschäftsanteile hält, aufgrund einer im Vertrag ausgestalteten Teil-Sperrminorität selbstständig tätig ist. Das Gericht verlangt die Vereinbarung einer echten Sperrminorität. Es genügt also nicht, wenn der Minderheitsgesellschafterin nur für bestimmte Angelegenheiten eine Sperrminorität eingeräumt wird. Das Gericht stellt unmissverständlich klar, dass sich die Sperrminorität umfassend auf sämtliche Beschlüsse der Gesellschafterversammlung beziehen muss, um eine abhängige Beschäftigung auszuschließen.

Für die Praxis kann je nach Ausgestaltung in der Prüfung der Sozialversicherungsträger die rückwirkende Zahlung von noch nicht verjährten Beiträgen drohen, unabhängig von der u.U. bislang vorliegenden Befreiung von der Zahlung. Im Rahmen einer Prüfung des Sozialversicherungsträgers kann die Feststellung einer Sozialversicherungspflicht dem Urteil folgend drohen. Sollten Sie als Mindergesellschafter im Gesellschaftsvertrag Vetorechte eingeräumt erhalten haben, wäre eine Beurteilung des Sachverhalts ratsam. 

 

Bundessozialgericht, Gebäude
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