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Die Rentenanpassungsprüfung nach § 16 BetrAVG im Jahr 2023

1. Überblick

Seit einiger Zeit leidet Deutschland unter einer sehr hohen Inflation (Stand Januar 2023: 8,7 %), was auch Folgen für die betriebliche Altersversorgung hat. So ist der Arbeitgeber gem. § 16 Abs. 1 BetrAVG verpflichtet, „alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden.“ Diese Verpflichtung gilt nach Abs. 2 als erfüllt, „wenn die Anpassung nicht geringer ist als der Anstieg

  1. des Verbraucherpreisindexes für Deutschland oder
  2. der Nettolöhne vergleichbarer Arbeitnehmergruppen des Unternehmens“

Der nachfolgende Überblick beschreibt, ohne die Escape-Klauseln des § 16 Abs. 3 BetrAVG zu thematisieren (z.B. jährliche Anpassung um wenigstens 1 %), die Voraussetzungen und Möglichkeiten einer Anpassung und gibt Praxistipps, wie diese liquiditätsschonend erfolgen kann.

 

2. Maßstab der Anpassung

Der Arbeitgeber hat bei der Anpassungsprüfung im ersten Schritt die Belange der Versorgungsberechtigten zu berücksichtigen. Hierfür wird der Anpassungsbedarf sowie die sog. reallohnbezogene Obergrenze herangezogen, wobei der Arbeitgeber den für ihn günstigeren Vergleichsmaßstab wählen darf:

  • Ermittlung des Anpassungsbedarfs

Dieser richtet sich nach dem seit Rentenbeginn eingetretenen Kaufkraftverlust, indem auf die Werte des Verbraucherpreisindexes für Deutschland (VPI) bis zum aktuellen Anpassungsstichtag abgestellt wird:

Formel:

[(Indexwert Vormonat Anpassungsstichtag: Indexwert Vormonat Rentenbeginn -1) x 100].

Beispiel 1: 1.000 EUR mtl. Betriebsrente seit 01.12.2019; Rentenanpassung zum 01.12.2022

Der Preisindex im Vormonat des Rentenbeginns (November 2019) betrug 105,3 %, im Vormonat der Rentenanpassung (November 2022) 121,6 %

Formel gerundet: (121,6 %: 105,3 % -1) x 100 = 15,48 % Rentenanpassung

  • Reallohnbezogene Obergrenze

Zusätzlich ist der Arbeitgeber berechtigt, die Nettolohnentwicklung vergleichbarer Arbeitnehmergruppen in seinem Unternehmen zu berücksichtigen. Hierbei sieht das Gesetz keine bestimmte Methode vor und weist dem Arbeitgeber einen weiten Ermessens- und Beurteilungsspielraum zu.

  • Wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers

Neben den Belangen der Versorgungsempfänger kann der Arbeitgeber im zweiten Schritt seine wirtschaftliche Lage im Rahmen einer Prognoseentscheidung ins Feld führen. Ist die Substanz des Unternehmens gefährdet, so gehen der Erhalt der Arbeitsplätze sowie der finanzielle Spielraum für Erhaltungsinvestitionen einer Rentenanpassung vor. Eine nicht hinreichend gute Lage wird seitens des Bundesarbeitsgerichts (BAG) beispielsweise angenommen, wenn das Unternehmen nicht mit einem angemessenen Eigenkapital ausgestattet ist oder über eine unzureichende Eigenkapitalrendite verfügt (EK-Rendite < Basiszins in Höhe der Umlaufrendite öffentlicher Anleihen zzgl. 2 % Risikozuschlag). Möglicherweise rechtfertigen auch Auswirkungen der Corona-Pandemie eine zu Recht unterbliebene Anpassung.

 

3. Praxistipps

Für Unternehmen empfiehlt sich aus Gründen der Praktikabilität eine Bündelung der Anpassungsprüfung mehrerer Betriebsrentner auf einen einzigen Stichtag (vgl. BAG, Urteil vom 26.04.2018 – 3 AZR 686/16) da so unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand vermieden und die Interessen der Versorgungsempfänger nur geringfügig beeinträchtigt werden. Die Festlegung dieses Stichtages sollte hierbei sorgfältig durchdacht sein. Zum einen sollten bereits alle relevanten Jahresabschlüsse vorliegen, um als Beurteilungsgrundlage für die vom Arbeitgeber zu erstellende Prognoseentscheidung dienen zu können. Zum anderen kann eine unwirksame Festlegung zu erheblichen Unsicherheiten und Streitigkeiten bei der Anpassung von Betriebsrenten führen und u.U. später zu hohen Nachzahlungsansprüchen der Versorgungsempfänger führen.

Darüber hinaus richtete sich ein Großteil der Arbeitgeber in der Vergangenheit nach der Entwicklung des VPI (2009–2021: durchschnittlich + 1,41 %) und sieht sich angesichts einer Inflationsrate von aktuell 8,7 % bei unveränderter Fortführung der Anpassung einem erheblichen Mehraufwand ausgesetzt. Insbesondere bei erst kürzlich begonnenen Rentenzahlungen wird dies zu deutlichen Erhöhungen führen (s. Beispiel 1).

In der Praxis wird deshalb diskutiert, ob ein Arbeitgeber zwischen zwei Anpassungsstichtagen vom Ansatz der VPI-Entwicklung zur Reallohnentwicklung (und umgekehrt) wechseln kann. Nach unbestrittener Ansicht kann solch ein nachträglicher Wechsel für den gesamten Anpassungszeitraum erfolgen:

Beispiel 2: 1.000 EUR mtl. Betriebsrente seit 01.12.2010; Rentenanpassungen 2013, 2016, 2019 jeweils nach VPI

Bei der Rentenanpassung zum 01.12.2022 kann für den gesamten Zeitraum auf die Reallohnentwicklung umgestellt werden.

Gerichtlich noch nicht entschieden ist hingegen die Frage, ob ein nachträglicher Wechsel auch nur einen Teil des Anpassungszeitraums umfassen darf:

Beispiel 3: Der Arbeitgeber möchte die Rentenanpassung zum 01.12.2022 nur für den Anpassungszeitraum 2019-2022 anhand der Reallohnentwicklung vornehmen, für den Anpassungszeitraum 2013-2019 soll es bei der VPI-Entwicklung als Maßstab bleiben.

Nach wohl herrschender Meinung in der Literatur ist dies zu verneinen, da sich der für die Ermittlung des Anpassungsbedarfs maßgebliche Prüfungszeitraum vom Rentenbeginn bis zum jeweiligen Anpassungsstichtag erstreckt und das Betriebsrentengesetz einen auf Teilzeiträume beschränkten Wechsel nicht vorsieht (vgl. auch BAG, Urteil vom 18.03.2014 – 3 AZR 249/12).

Inwieweit jedoch Gerichte bei zukünftigen Urteilen aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation eine andere Meinung vertreten werden, ist schwer einzuschätzen.

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