LAG Hessen – und die Anrechnung vermögenswirksamer Leistungen auf den Arbeitgeberzuschuss bei Entgeltumwandlung
Landesarbeitsgericht Hessen Urteil vom 17.04.2024 – 6 Sa 808/23
Worum geht es?
Die Klägerin ist seit dem 01.09.2007 als angestellte Applicationmanagerin für die Beklagte tätig. Im Monat Dezember 2007 wurde der Klägerin durch die Beklagte eine betriebliche Altersvorsorge in Form einer betragsorientierten Leistungszusage zugesagt. Die Durchführung erfolgte versicherungsförmig als Direktversicherung. Es sollten monatlich 110,00 EUR von ihrem Nettogehalt abgezogen und eingezahlt werden. Darin eingeschlossen waren von der Arbeitgeberin gewährte vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 40,00 EUR; der restliche Betrag war ein Abzug vom Bruttoentgelt. Zum 1. Juli 2019 trat eine Betriebsvereinbarung in Kraft, die die VWL ablöste und den Mitarbeitern eine Arbeitgeberleistung als sog. „100-Euro-Option“ (betrieblicher Optionsanspruchs mit einer Verwendungswahl) gewährte. Die Klägerin entschied, dass 40,00 EUR der „100-Euro-Option“ als zusätzliche Einzahlung in die betriebliche Altersversorgung erfolge. Im Nachgang wurde der Betrag reduziert als auch erhöht. Im November 2023 füllte die Beklagte das Formular der Versicherung „Erhöhung* im Rahmen des Betriebsrentenstärkungsgesetzes“ unter Angabe ihrer Versicherungsscheinnummer dahingehend aus, dass die Entgeltumwandlung „wieder auf den Ursprungsbetrag in Höhe von 110 angehoben“ werde, „eine Erhöhung* um 15%“ auf einen neuen „Gesamtbeitrag inklusive Arbeitgeberzuschuss“ in Höhe von 126,50 EUR „im bestehenden Vertrag“ erfolgen soll und unterzeichnete es. Bei der Angabe „vermögenswirksame Leistungen“ wurde „0“ EUR eingetragen. Hintergrund der Vereinbarung war die zum 1. Januar 2022 für Altverträge in Kraft tretende Regelung des § 1a Absatz 1a BetrAVG.
Die Beklagte zahlte nach Inkrafttreten der Zuschussregelung nach § 1a Absatz 1a BetrAVG den von der Klägerin zusätzlich geforderten Zuschuss nicht aus. Der Arbeitgeber begründete dies damit, dass die gezahlten 40 EUR den gesetzlichen Anspruch erfüllen, ersatzweise er eine zulässige Anrechnung beansprucht. Die Klägerin verfolgte ihren Anspruch weiter und reichte Klage beim Arbeitsgericht Frankfurt a. M. ein.
Das Arbeitsgericht hatte der Klage im Grundsatz stattgegeben. Das LAG Hessen bestätigte den Anspruch der Klägerin. Die Beklagte legte Berufung ein.
Entscheidung
Der Klage wurde stattgegeben und die Beklagte wurde verurteilt an die Klägerin den geforderten Zuschuss auf Grundlage der gesetzlichen Zuschussplicht (§ 1a Abs. 1a BetrAVG) zu zahlen.
Das LAG Hessen stellte klar, dass durch die Leistung der 40,00 EUR nach § 3 der Betriebsvereinbarung der gesetzliche Anspruch der Klägerin nach § 1a Absatz 1a BetrAVG nicht erfüllt worden ist.
Anders als die Beklagte sah das Gericht beide Ansprüche als jeweils eigenständige Ansprüche an und verneinte verschiedene Rechtsgrundlagen eines einheitlichen Anspruchs und die daraus folgende Erfüllung des einen Anspruchs. Nur bei einer Anspruchseinheit käme die Erfüllung und damit das Erlöschen des Anspruchs in Betracht.
Entscheidend für die Beurteilung eines einheitlichen Anspruchs sei, welche Zwecke den einzelnen Ansprüchen zu Grunde liegen, auch wenn beide als gleichartig zu beurteilen sind. Das LAG beurteile die Zwecke beider Ansprüche im Ergebnis unterschiedlich. Beim Anspruch nach § 1a Absatz 1a BetrAVG geht es um die Weiterleitung der Sozialversicherungsersparnis im Rahmen einer Entgeltumwandlung. Andererseits hat der sog. „betrieblichen Optionsanspruch“ nach § 3 der Betriebsvereinbarung des Arbeitgebers ganz eindeutigen Entgeltcharakter, weil er als „zusätzlicher Betrag“ an die Arbeitnehmer gewährt wird. An dieser Feststellung ändert auch eindeutig die spätere Zweckbestimmung der Parteien als „Arbeitgeberzuschuss“ nichts. Der Vereinbarung fehlt der Erklärungswille, sodass es sich lediglich im eine Wissenserklärung handele. Auch wenn die Parteien aufgrund dieser späteren Vereinbarung eine Umwidmung des Anspruchs in einen Zuschuss hätten regeln wollen, wäre diese Regelung (nach § 77 Abs. 4 S. 2 BetrVG) unzulässig, weil Sie zu einem Verzicht führt, für die keine Zustimmung des Betriebsrats vorlegen hat.
Zum Argument der Anrechnung des betrieblichen Optionsanspruchs mit dem Anspruch nach § 1a Abs. 1a BetrAVG verwies das Gericht darauf, dass diese schon deshalb nicht angenommen werden kann, weil es hierfür an einer individualvertraglichen Regelung fehlt. Auch wenn es für die Entscheidung nicht relevant war, betonte das Gericht, dass es für die wirksame Anrechnung auf einen anderen Zweck dienende Leistung einer Regelung in einem Tarifvertrag oder einer Vereinbarung der Anwendbarkeit eines einschlägigen Tarifvertrags (§ 19 BetrAVG) bedarf.
Hierzu ist eine Revision anhängig. Die Verhandlung beim Bundesarbeitsgericht (BAG) (3 AZR 158/24) ist auf Ende Juni terminiert.
Bewertung
Diese Entscheidung zeigt klar, dass eine Anrechnung gewährter Leistungen, deren Anspruchsgrundlage vor Inkrafttreten der Zuschusspflicht liegt, individuell zu prüfen ist. Dies gilt nicht nur für Regelungen mit tariflichem Hintergrund, wo spezielle Anforderungen zu beachten sind; auch nicht tarifgebundene Arbeitgeber sollten hier Vorsicht walten lassen. Die Zuschusspflicht kann nicht durch jede beliebige freiwillige Leistung des Arbeitgebers nachträglich verrechnet und damit erfüllt werden. Die Entscheidung zeigt sehr deutlich, dass dem Leistungszweck bzw. den Leistungsvoraussetzungen bei dieser Festlegung besondere Bedeutung zukommt. Arbeitgeber sollten daher bereits bei Anspruchsbegründung die erforderlichen Zweckbestimmungen definieren und entsprechende Verrechnungsregeln festlegen. Daher gilt auch hier: Vorsicht ist besser als Nachsicht!
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